Multiplikatoren für Partizipation in Kindergärten? Demokratie-Export aus Schleswig-Holstein.

Nov 12 2013

Achtzehn neuen Multiplikatoren für Partizipation in Kindertageseinrichtungen wurde Ende November die Fähigkeit bescheinigt, als eine Art „Demokratie-Entwickler“ wirken zu können. Mit ihrer Hilfe können Kitateams an drei Tagen eine demokratische Kita-Verfassung oder ein Partizipationsprojekt erarbeiten. Erwachsenen gestehen Kindern in Kitas auf diese Weise fest verankerte Rechte zu. Gremien wie zum Beispiel ein Kinderparlament entstehen und Verfahren für die unterschiedliche Rechte auf Information, Anhörung, Mitwirkung oder gar Selbstbestimmung werden garantiert. In Projekten lernen die Kinder zusammen mit ihren Pädagogen wie Demokratie gelebt werden kann.

18 neue Multiplikatoren, Foto: Andreas Schönefeld

18 neue Multiplikatoren, Foto: Andreas Schönefeld

Dithmarschen an der Nordseeküste in Schleswig-Holstein hat nun auch eine Multiplikatorin. Kari Bischof-Schiefelbein, Leiterin der Kita Wolkenschloss in Neuenkirchen: „Das war die beste Fortbildung, die ich je hatte. Und ich bin ganz glücklich, dass zwei Kollegen aus der Fortbildung mit meinem Team und mir bei uns im Kindergarten ‚Wolkenschloss‘ unsere bisherigen demokratischen Verfahren weiterentwickelten.“

Ein Jahr lang bildete das Sozialministerium des Landes Schleswig-Holstein seine neuen Multiplikatoren zusammen mit dem Deutschen Kinderhilfswerk, der Fachhochschule Kiel und dem Institut für Partizipation und Bildung aus. Die nun abgeschlossene Ausbildung beruht auf dem bundesweit wegweisenden Konzept „Die Kinderstube der Demokratie“. Es wurde vor gut zehn Jahren hier im Norden entwickelt. Im Mittelpunkt stehen das Recht, Rechte zu haben, Bildung auch als Selbstbildung sowie Demokratiebildung. Vor vier Jahren wurden dann schon einmal Demokratie-Multiplikatoren ausgebildet. Mittlerweile ist die Demokratie-Entwicklung aus dem Norden in der ganzen Republik aufgegriffen und die Multiplikatoren sind bundesweit gefragt.

Exemplarisch für die 18 neuen Multiplikatoren aus ganz Schleswig-Holstein zitieren wir zwei weitere Nordseeanwohner, die Nordfriesen. Anke Petersen, Leiterin der AWO-Kita in Husum, sowie Andreas Schönefeld, Mitarbeiter in der Kita Bunte Welt in Niebüll und Autor dieses Artikels. Die Husumer Kita arbeitet schon seit einem Jahr partizipativ und entwickelte im Team eine Verfassung. Anke Petersen: „Kommen sie gerne vorbei. Bei uns sind jetzt Bildung und Partizipation untrennbar. Die Kinder habe nun in der Verfassung garantierte Rechte, um ihrer Entwicklung und Bildung mitzuwirken oder sie in Teilen selbst zu bestimmen“. Andreas Schönefeld, der sich auch als Kommunalpolitiker für Kinder- und Jugendbeteiligung einsetzt: „Das Land Schleswig-Holstein hat eine Demokratieoffensive ausgerufen und wir sind nun Teil dieser Bewegung. In dem wir, die an verschiedenen Stellen verbrieften Rechte der Kinder, in der Kita verankern, begegnen wir ihnen neu, bewusst und reflektiert auf Augenhöhe, von Mensch zu Mensch, im Dialog und das ist ein großer Schritt für die Demokratie und die Pädagogik“.

Kari Bischof-Schiefelbein, Anke Petersen, Andreas Schönefeld

Kari Bischof-Schiefelbein, Anke Petersen, Andreas Schönefeld

 

Das Sozialministerium in Schleswig-Holstein unterstützt auf Antrag die dreitägigen Fortbildungen der Multiplikatoren für Partizipation mit Kita-Team mit jeweils 500 Euro (Klaus Meeder 0431 – 988-7479).

Mehr zum Thema unter www.partizipation-und-bildung.de. Dort unter Kita und MultiplikatorInnen demnächst auch Infos zu allen Multiplikatoren.

Das Kieler Sozialministerium bietet als nächstes eine Qualifizierung von Multiplikatoren für Partizipation in stationären Einrichtungen der Jugendhilfe an: Demokratie in der Heimerziehung (Juni 2013 bis September 2014). Ansprechpartner: Klaus Meeder, Information und Servicestelle Demokratiekampagne, Tel.: 0431 – 988 7479.

 

Das Thema Partizipation bekommt noch einmal eine ganz wichtige und aktuelle Bedeutung durch die in den letzten Jahren öffentlich bekannt gewordene sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen in pädagogischen Einrichtungen. Das seit Anfang des Jahres 2012 bundesweit geltende Gesetz zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen (Bundeskinderschutzgesetz) führt Partizipation als eine neue Schutzmaßnahme ein. Multiplikatoren bekommen hier Arbeit. Das Gesetz zur Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) erhält einen neuen Paragrafen. Der §8b lautet im Punkt (2) wie folgt:

Träger von Einrichtungen, in denen sich Kinder oder Jugendliche ganztägig oder für einen Teil des Tages aufhalten oder in denen sie Unterkunft erhalten, und die zuständigen Leistungsträger, haben gegenüber dem überörtlichen Träger der Jugendhilfe Anspruch auf Beratung bei der Entwicklung und Anwendung fachlicher Handlungsleitlinien

1. zur Sicherung des Kindeswohls und zum Schutz vor Gewalt sowie

2. zu Verfahren der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an strukturellen Entscheidungen in der Einrichtung sowie zu Beschwerdeverfahren in persönlichen Angelegenheiten.

 

Anspruch auf Beratung zu Verfahren der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen und Beschwerdeverfahren sind hier die Schlüsselworte.

Der neuverfasste §45 der Kinder- und Jugendhilfe zur Erlaubnis für den Betrieb einer Einrichtung formuliert das noch einmal in (2) 3. Die Erteilung einer Erlaubnis erfolgt, wenn:

zur Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in der Einrichtung geeignete Verfahren der Beteiligung sowie der Möglichkeit der Beschwerde in persönlichen Angelegenheiten Anwendung finden.

Neue Formen der Beteiligung und Beschwerdeverfahren könnten zum Beispiel so aussehen, wie sie gerade in einer Kita in Schleswig-Holstein diskutiert werden. Ein ganz neues Gremium wurde dort entwickelt mit Hilfe von zwei der neuen Multiplikatoren: der „Kita-Kasten-Ausschuss“. In dem zurzeit noch diskutierten Verfassungsentwurf heiß es:

(1)    Der Kita-Kasten-Ausschuss ist ein permanenter Ausschuss.

(2)     Er behandelt Wünsche, Beschwerden und Sorgen der Kinder. Diese werden in einem „Kita-Kasten“ gesammelt. Jedes Kind kann mit oder ohne Hilfe einer Mitarbeiterin den Kasten mit seinen Wünschen, Beschwerden oder Sorgen füllen. Diese sollen möglichst visualisiert werden. Das Kind kann seinen Namen dazusetzen (lassen) oder auch anonym bleiben, dann trägt die helfende Mitarbeiter/in das Anliegen im Ausschuss vor. Mindestens einmal wöchentlich wird der Kita-Kasten von einer Mitarbeiter/in gesichtet. Der Kita-Kasten-Ausschuss tagt jeden Donnerstag, es sei denn der Kasten ist leer. Der Ausschuss setzt sich aus den interessierten oder betroffenen Kindern und pädagogischen Mitarbeiter/innen zusammen. Die Teilnahme ist freiwillig.

Zum Thema „Regeln“ heißt es im Verfassungsentwurf:

Die Kinder haben das Recht mitzuentscheiden über die Regeln des Zusammenlebens in der Einrichtung sowie über den jeweiligen Umgang mit Regelverletzungen. Letzteres gilt auch, wenn pädagogische Mitarbeiter/innen einer Regelverletzung bezichtigt werden.

Diese Verfassungsregelungen sind Beschwerdemanagement und Beteiligungskultur zugleich. Hier schließt sich der Kreis. Die Wünsche der Kinder fließen in den Alltag der Kita ein, sie entwickeln die Einrichtung als Ganzes. Das Team, die Leitung, der Träger, die Eltern sind offen dafür. Vielfältige Bildungsprozesse werden in Gang gesetzt. Demokratie wird Praxis. Die Rechte der Kinder werden geschützt und von ihnen als solche wahrgenommen.

 

Rechte der Kinder von der UN bis in Schleswig-Holstein:

der UN-Kinderkonvention, Artikel 12 (Berücksichtigung des Kinderwillens)

Gemeindeordnung Schleswig-Holstein §47f (Beteiligung von Kindern und Jugendlichen)

Kinder- und Jugendhilfe, SGB VIII §8 (Beteiligung von Kindern und Jugendlichen), §8b (Fachliche Beratung und Begleitung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen) und §45 (Erlaubnis für den Betrieb einer Einrichtung)

Kindertagesstättengesetz SH §16 (Zusammenarbeit mit den Erziehungsberechtigten und den Kindern)

 „ Bis jetzt hing alles vom guten Willen und von der guten oder schlechten Laune des Erziehers ab. Das Kind war nicht berechtigt, Einspruch zu erheben. Dieser Despotismus muss ein Ende haben.“

Gegen diese Art der Willkürherrschaft schrieb 1928 Janusz Korczak (*1878, Arzt, Schriftsteller, Erzieher und Reformpädagoge). Korczak steht in der Pädagogik und Demokratiegeschichte für die Ausformulierung von Rechten der Kinder. Er machte dies in den 20er Jahren (rechtsverbindliche Kinderrechte wurden erst Jahrzehnte später von der UN 1989 mit der internationalen Kinderrechtskonvention verabschiedete). Korczak wollte die Rechte der Kinder in einer Verfassung verankert sehen. In seinem Alltag in verschiedenen Kinderheimen führte er Gremien, Öffentlichkeit und Transparenz ein mittels der „Versammlung der Kinder“, der „Zeitung der Kinder“ und dem „Gericht der Kinder“.

Heute erarbeiten die Multiplikatoren für Partizipation mit den Kita-Teams Verfassungen, in dem das Team für sich klärt: „Worüber sollen die Kinder auf jeden Fall (mit-) entscheiden? Worüber sollen die Kinder auf keinen Fall (mit-) entscheiden?“ Genauestens wird dann festgelegt, in welchen Bereichen die Kinder welche Rechte erhalten sollen. Haben sie Rechte auf Information, Anhörung, Mitwirkung oder Selbstbestimmung in Fragen der Kleidung, der Mahlzeiten, Auswahl von Angeboten, Spielen, Spielpartnern, Dingen des Alltags, Matschen, Klettern, Anschaffungen, Finanzen, Raumgestaltung, bis hin zu Personalfragen.

Foto: Andreas Schönefeld

Foto: Andreas Schönefeld

Vorreiter in Deutschland ist heute „Schleswig-Holstein – Land für Kinder“ mit seiner jetzigen Demokratiekampagne und dem §47f der Gemeindeordnung zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen sowie dem Modell „Die Kinderstube der Demokratie“. Für dieses Modell stehen in Schleswig-Holstein u.a. Prof. Dr. Raingard Knauer, Rüdiger Hansen, Kathrin Agamiri sowie Klaus Meeder mit den vielen Mulitplikatoren für Partizipation in den Bereichen Kinder- und Jugendbeteiligung und Kindertagesstätten. Mitte nächsten Jahres beginnt eine neue Ausbildungsreihe für Demokratie in der Heimerziehung.

So gelingt es vielleicht im Sinne Korczaks Beteiligungsverfahren und Beschwerdemanagement in vielen pädagogischen Bereichen und dort auf allen Ebenen der Hierarchien fest zu verankern. Demokratie, Partizipation, Teilhabe, Kritik würden so positiv begriffen und wirken können zur besseren Entwicklung der Einrichtungen, der Pädagogik und der Gesellschaft im Allgemeinen.

 

(Andreas Schönefeld, Dez. 2012, erschienen in KiTa aktuell Norddeutschland, 02.2013 und Erziehung und Wissenschaften Schleswig-Holstein 1/2 2013)

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