Das meint Max. Und das meint Emma.

Nov 24 2013

Andreas Weber,  Autor, Biologe und Philosoph (für den Essay „Kinder brauchen Natur. Lasst sie raus!“ 2010 in GEO, erhielt er den „Deutschen Reporterpreis“). 2011 erschien sein Buch „Mehr Matsch!“. Mit seinen Kindern Emma und Max schrieb der das „Quatsch-Matsch-Buch: Das Aktionsbuch: großstadttauglich und baumhausgeprüft, 2013. Hier Zitate aus dem Quatsch-Matsch-Buch:

 

Das meint Max

„Wenn ich irgendwas machen soll und etwas denken soll, nur weil das so vorbestimmt ist, habe ich schon von vorneherein keine Lust mehr. Dann ist das total uninteressant und ich mache auch im späteren Leben einen Bogen drum herum. Schule ist zum Abgewöhnen. So wie Konfirmationsunterricht. Man muss etwas machen, weil man sonst bestraft wird. Klar kann man was lernen. So gerade für die Arbeit und dann wieder vergessen. Das wirkliche Leben ist ganz woanders. Da soll auch Schule nie hinkommen. Das will ich mir gar nicht versauen lassen“ (S. 112).

 

Foto: Andreas Schönefeld

Foto: Andreas Schönefeld

 

Und das meint Emma

Am Ende machen Kinder ja doch was sie wollen. Nur machen sie es dann eben mit dem Gefühl, dass das, was sie wollen, verboten ist. Oder das, was sie sind. Wir sollen anders sein, als wir sind. Das lernen wir. Ist doch klar, dass man dann keine Lust mehr hat. Aber man macht nach außen hin natürlich weiter mit, damit man nicht auffällt und keine schlechten Noten kriegt. Und beliebt bleibt. Aber heimlich stellt man sich dagegen. Flippt total aus.

Gerade hat unsere Lehrerin alle Freundespaare an den Tischen auseinandergesetzt. Sie meinte, wir würden zu viel zusammenglucken. Und unsozial sein. Und zu zweit quatschen. Und darum nicht so viel arbeiten. Das war gemein. Ihr geht es nur um unsere Noten. Und nicht um uns. … „(S. 22).

 

Andreas Weber

Die Idee des Buches besteht darin, dass nicht Erwachsene ihre Kinder an die Hand nehmen, sondern dass Kinder die Welt verändern müssen. Nicht, dass Erwachsene für ihre Kinder die letzten Reserven von Natur entdecken, sondern dass Kinder selbst ermächtigt werden, wieder als das zu wirken, was sie sind: als eine Kraft der Natur (S. 14).

Das ist die minimale Erziehungslehre, wie sie die großen humanistischen Pädagogen und Psychologen wie Janusz Korczak, Erich Fromm, Alice Miller und Marshall B. Rosenberg entwickelten. In ihrem Zentrum steht die Einsicht, dass jeder Mensch, jedes Kind, wenn es zur Welt kommt, grundsätzlich „biophil“ ist, dass wir alle von Natur aus das Lebendige lieben. Das Vertrauen darauf, dass unsere Wachstumsziehe darin bestehen, selbst lebendiger zu werden, aber auch andere mit dieser Lebendigkeit zu beschenken.

 

Jede Machtausübung in der Erziehung zerstört deren Ziel. Gerade darum ist die Freiheit, die unsere Kinder in der nicht menschengemachten Welt erfahren, ein so lebenswichtiges Gut. Nur das „große Draußen“, die vom Menschen unbeherrschte Weite – sei es die Schönheit einer alten Landschaft oder die wimmelnde Anarchie der Stadt -, ist ein machtfreier Raum (S. 15).

 

Lebendig werden heißt, sich in schöpferischer Freude erfahren, heißt, von den Mitspielern gesehen zu werden und von der Umgebung, heißt, zugleich sich selbst und den anderen zu akzeptieren (S. 28).

 

In der Lebendigkeit der Welt spiegelt sich die eigene – und die kindliche Lebenslust bereichert die Welt um eine schöpferische Komponente. Liebe und die Sehnsucht nach dem eigenen, inneren Wachstum suchen das, was ich bin, was aber viel mehr ist, als ich bin: worin ich zugleich mich und die Welt entdecken kann. Worin ich zugleich ich und die Welt bin.

 

Kämpfen wir also darum, willkommen zu sein. Es ist der Kampf fürs Leben. … Aber lebendig zu sein und die Lebendigkeit der anderen zuzulassen, erfordert Mut. Die größte denkbare Zivilcourage (S. 29).

 

Die Schule ist Ort der Verurteilung: Im Unterricht kann jedes Wort, jede Geste gegen uns verwendet werden; die Schüler befinden sich beständig auf dem Radarschirm. Das aber ist strukturelle Gewalt. …

Vielleicht ist das die einzige pädagogische „Technologie“: Dem Kind seine Lebendigkeit zu lassen. Sie zu bejahen. Sie in ihrem Kern als den wundervollen Ausdruck einer eigenständigen Individualität anzuerkennen. Lebendigkeit zulassen heißt, auf Macht zu verzichten. Es hieße darauf zu vertrauen, dass wir ein ebenso reiches Entfaltungsprogramm in uns tragen wie die Linde, die zum Baum wird, wie der junge Wolf, die Hyphe des Fliegenpilzes. Es hieße nicht, dass Kultur etwas Überflüssiges wäre, aber dass ihr Ziel darin bestehen müsste, zwischen unserer Lebendigkeit und der anderer zu vermitteln, in dem wir lernen, unsere Bedürfnisse auszudrücken und die anderer zu sehen. Es hieße, dass Kultur zuallererst eine Übung der Wahrnehmung sein müsste, ein Anblicken und Angeblicktwerden, kein dauernder Test unter Androhung von Strafe. Diese kulturelle Mission könnte der Auftrag unserer Schulen sein.

 

Hier ist der Moment, wo die Natur ins Spiel kommt. Denn mit ihr öffnet sich ein Raum gewaltfreier Kommunikation. Dieser Raum ist die Stätte unserer Herkunft, wo wir als Geste des „natürlichen Gebens“ entstanden sind – als Geschenk einer schöpferischen Welt an sich selbst. In der Natur können wir stets die „Sprache des Lebens“ vernehmen, die unsere Erziehungsinstitutionen so dringend lernen müssten (S. 100).

 

Siehe auch Beitrag: Keine Kinder in der Natur – die eigentliche ökologische Katastrophe und Artikel: Kinder brauchen Natur. Lasst sie raus! Andreas Weber rüttelt wach.

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