Es braucht dazu die Freiheit

Nov 20 2013

Der Stoff des Lebens

 

„Wenn man betrachtet, wie Kinder groß werden, wie sie widerstandsfähig werden, wie sie ihre Kompetenzen für ein erfolgreiches Leben ausbilden – dann wird eines klar: Menschenkinder sind in ihrer Entwicklung einem seltsamen Weg verpflichtet: Ja, sie brauchen die Eltern (und wie!), sie brauchen Hilfe (und wie viel!), sie brauchen Beachtung, Schutz und Leitung. Sie brauchen einen förderlichen Rahmen.

 

Aber innerhalb dieser Keimzone ihrer Entwicklung sind die Kinder selbst am Zug. Sie gestalten ihrer Beziehungen von Anfang an mit, sie betreiben die Erforschung der Umwelt aus ihrem eigenen Herzen heraus, sie organisieren sich unter ihresgleichen selbst.

 

Förderung ist damit kein passiver Prozess, den die Großen veranstalten – der grundlegendste „Stoff“ des Lebens muss von den Kindern selbst zutage gefördert werden. Förderung ist das, was der Begriff im Wortsinn bedeutet: in die Tiefe gehen und etwas nach oben bringen – einen Schatz, Erz oder Gold. Oder eben den Stoff des Lebens. So etwas taugt nicht zum Lehrfach. Niemand kann ein Kind lehren, empathisch zu sein. Niemand kann einem Kind vermitteln, sozial kompetent, widerstandsfähig oder selbstständig zu werden. Diese Schätze müssen vom Kind selbst gehoben werden.

Foto: Andreas Schönefeld

Foto: Andreas Schönefeld

 

Es braucht dazu die Freiheit, selbst zu suchen, selbst zu gestalten. Zu irren und zu scheitern. Risiken auf sich zu nehmen. Abenteuer zu bestehen. Sich zu streiten und sich zu versöhnen. Den Emotionen des Lebens zu begegnen. Dem Glück und dem Leid.

Das Kind muss sich an Widerständen erproben, um seine Kraft zu spüren und sein Rückgrat aufzubauen. Es muss elementare Erfahrungen machen können, um seine Sinne, seinen Körper und Geist zusammenzuführen. Und es muss Bezüge und Verbindungen spüren können, um sich beheimatet zu fühlen. Um die Welt als einen sicheren, gegebenen Ort kennenzulernen.

 

Wir haben das die Quellen der Entwicklung genannt, und sie haben eins gemeinsam: Kinder stoßen auf sie überall dort, wo sie in unstrukturierten Umwelten selbstorganisiert spielen und Entdeckungen machen können. Das sind die Naturerfahrungen, von denen wir reden. Kein Wunder, dass Kinder diesen Erfahrungsraum suchen. Dass sie ihn mit jeder Faser ihres Körpers und ihres Herzens anpeilen.“

 

 

Herbert Renz-Polster (li) und Gerald Hüther bei der Buchvorstellung 24.9.13 Berlin, Foto: Andreas Schönefeld

Herbert Renz-Polster (li) und Gerald Hüther bei der Buchvorstellung 24.9.13 Berlin, Foto: Andreas Schönefeld

Herbert Renz-Polster / Gerald Hüther: Wie Kinder heute wachsen. Natur als Entwicklungsraum. Ein neuer Blick auf das kindliche Lernen, Denken und Fühlen. Beltz 2013, S. 230:

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