Alle Lebewesen auf der Erde sind miteinander verwandt. Namibia. Afrika

Aug 01 2019

Foto: Andreas Schönefeld

Auf Spurensuche in Namibia, im südlichen Afrika.

Die San (Buschmänner), die als Jäger- und Sammlervolk nomadisch lebten sind wohl im südlichen Afrika die Urbevölkerung. Felsenmalereien bezeugen das.

Jetzt leben in dem Wüstenland Namibia am Atlantik neben den vielen wilden Tieren auch noch Damara, Herero, Himba, Joansi, Nama, Ovambo und Weiße der einstigen Kolonialmächte aus England und vor allem Deutschland. Erst 1990 wurde Namibia unabhängig. In Südafrika gab es noch später, am 24. April 1994, freie Wahlen. Nelson Mandela wurde erster schwarzer Präsident. Multikulturelle Gesellschaften versuchen sich demokratisch zu finden im Angesicht ihrer Geschichte, der Kolonialzeit, der Apartheid und der historischen Machtansprüche, Unterdrückungen, Vertreibungen und Vernichtungen verschiedenster Gruppen.

Foto: Andreas Schönefeld

„Alle Lebewesen auf der Erde sind miteinander verwandt“. Diese Erkenntnis fand ich bei Carmen Rohrbach: Namibia. Abenteuerliche Begegnungen mit Menschen, Landschaften und Tieren. München 2005. Vielleicht eine Grundeinsicht bei der Entwicklung  und Verfassung von Gesellschaften.

Foto: Andreas Schönefeld

Im Folgenden zitiere ich:

Die Kinder hatte ich vergessen, bis ich ihnen hinter einer Felsnase unerwartet gegenüberstehe. Aufgeregt umringen sie eine Steinplatte. Der Lehrer ruft sie auf Englisch, der offiziellen Unterrichtssprache, zu Ruhe. Um ihnen das Alter der Gravuren zu verdeutlichen, fragt er die Kinder, wie viele Generationen sie zurückdenken können. Verblüfft verfolge ich die Antworten. Mühelos können die Schüler zehn Generationen ihrer Ahnenreihe überblicken, das sind 200 Jahre, wenn man 20 Jahre für eine Generation ansetzt. Meine Kenntnis endet mit den Urgroßeltern – gerade einmal mit der dritten Generation.

Nachdem die Kinder die Zeitspanne von 200 Jahren am Beispiel ihrer Vorfahren leicht erfasst haben, macht ihnen ihr Lehrer deutlich, dass die Gravuren mindestens zehn Mal älter sind. Ein Junge blickt mich an und sagt etwas auf Damara. Der Lehrer übersetzt es für mich ins Englische: „Dann ist unsere Kultur älter als die der Weißen!“

Vor Freude klatschen die Kinder rhythmisch in die Hände, stampfen den Boden mit Tanzschritten. Blitzartig scheinen sie zu erkennen, dass sie tiefe Wurzeln haben, dass ihre Vergangenheit nicht nur aus Sklaverei und Ausbeutung bestand.

Staunend beobachte ich, wie sie ausgelassen herumhüpfen, nie hätte ich es für möglich gehalten, dass die Kunst der Steinzeit jemals diese Wirkung bei den heutigen Menschen auslösen könnte. Gleichzeitig wird mir bewusst, dass die Kinder, die in einem unabhängigen Namibia geboren wurden, nach wie vor unter dem Trauma der Kolonialzeit leiden. Wie gründlich muss damals das Selbstwertgefühl der Menschen zerstört worden sein, dass lange nach Ende der Unterdrückung diese Kinder noch immer das Gefühl haben, den Weißen unterlegen zu sein.

Als der Lärm etwas abnimmt, sage ich auf Englisch: „Ihr täuscht euch! Eure Kultur ist nicht älter als unsere, sondern gleich alt, wir haben nämlich gemeinsame Vorfahren.“

Die Kinder starren mich an und können nicht glauben, was die Weiße behauptet. „Es stimmt! Fragt nur euren Lehrer. Alle Menschen, die heute aus der Erde leben, stammen ursprünglich aus Afrika!“

Als wäre eine Tür der Erkenntnis aufgestoßen worden, scheinen sie sofort zu begreifen, was ich behauptet habe.

„Dann sind wir alle gleich“, sagt ein Mädchen auf Englisch.

„Ja, so ist es! In Afrika sind die Menschen entstanden. Einige sind später in andere Erdteile ausgewandert, dabei hat sich ihr Ansehen etwas verändert, aber wir haben alle die gleichen Wurzeln.“

Die Schüler sind ganz still geworden. Sie lassen das Gehörte auf sich wirken. Für sie muss es ein großer Augenblick sein, den sie vielleicht ihr Leben lang nicht vergessen werden.

„Diese Gravuren sind zwar alt“, sage ich, „aber in Namibia gibt es noch viel ältere Malereien, die ältesten auf der Erde, die man bis jetzt gefunden hat. Forscher haben Tierfiguren in der Apollo-Höhle am Nuob River entdeckt und konnten das Alter ziemlich genau feststellen, nämlich 40 000 Jahre!“

Erstauntes Raunen geht durch die Kinderschar, nachdem sie errechnet haben, dass dieser Zeitabschnitt 2000 Generationen umfasst. Zehn können sie überblicken, aber wie viele Schicksale mögen sich hinter 2000 Generationen verbergen? Dem Ausdruck ihrer Gesichter nach wird den Kindern allmählich das immense Ausmaß vergangener Zeit deutlich.

„Und was war davor?“ will ein Schüler von mir wissen.

„Wenn wir immer weiter zurückgehen in die Zeit, kommen wir irgendwann an den Punkt, wo wir mehr Tier als Mensch waren, denn auch mit den Tieren haben wir gemeinsame Vorfahren. Ihr müsst wissen: Alle Lebewesen auf der Erde sind miteinander verwandt.“

Spontan ruft eine Schülerin: „Das ist genau das, was meine Mama auch immer sagt.“ (Seite 116-117)

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