Kinder können Demokratie
Kinder können Demokratie beschreiben, umsetzen, schätzen, wenn sie … sich betroffen fühlen, ernst genommen werden, pädagogisch angeleitet werden.
So die Erkenntnis einer dreijährigen Studie zur „Demokratiebildung in Kindertageseinrichtungen“ rund um das Team von Dr. Elisabeth Richter, Teresa Lehmann und Prof. Dr. Benedikt Sturzenhecker von der Universität Hamburg (Fachbereich Erziehungswissenschaften 2, Arbeitsbereich Sozialpädagogik) die jetzt am 28.04. erstmal einer interessierten Fachöffentlichkeit vorgestellt wurde. Die Diskussion ist also eröffnet.
Diese knapp zusammengefassten Ergebnisse und die diesbezüglichen Ausführungen des Hamburger Forscherteams erweitern, erhellen und verstärken die auch in der Praxis aufgeworfenen Fragen und Diskussionen (Raingard Knauer, Fachhochschule Kiel). Diese müssen wir also weitertreiben!
Die respektvolle Haltung der Pädagog*innen ist und bleibt Grundvoraussetzung.
Hinzu kommt unbedingt die konstitutionelle Einbindung der Rechte der Kinder in Verfassungen mit Gremien und Verfahren, die ein Aushandeln in der „kleinen“ Demokratie, in der Kindertagesstätte erst ermöglichen (Rüdiger Hansen, Institut für Partizipation und Bildung). Benedikt Sturzenhecker zitiert Janusz Korczak (den Vater der Kinderrechte): „Ich bin ein konstitutioneller Pädagoge geworden“. Dieses Bewusstsein führt zu einer neuen Berufsbezeichnung: konstitutioneller Pädagoge! Dieser Begriff vereint auch die Erkenntnisse der Studie. Haltung der Pädagogen, der Experten, ermöglicht Demokratie in der Kita. Eine „Expertendemokratie“. [Das ist viel mehr als wir es aus der Regelschule kennen. Dort herrscht eine „Expertokratie“]. In einer Expertendemokratie liegt der Schwerpunkt auf der Freiheit des einzelnen. Mittels einer Verfassung kommt dann noch mehr hinzu, Mitbestimmung, Transparenz, gemeinsame Meinungs- und Willensbildung, gemeinsam getroffene und damit legitimierte Entscheidungen. Das wird dann in der Studie als „Deliberative Demokratie“ (nach Habermas) bezeichnet und herausgearbeitet. Eine Verfassung und die damit gewonnene Praxis des gemeinsamen Aushandeln ist somit der Startpunkt einer solchen „Deliberativen Demokratie“. In diesem Spannungsfeld von Expertendemokratie und Deliberalen Demokratie bewegen sich die sechs untersuchten partizipativen Kitas, die mindestens seit zwei Jahren eine Verfassung haben.
Diese Begrifflichkeiten sind für uns und die möglichst trennscharfe wissenschaftliche Erkenntnis wichtig. Im praktischen Alltag vielleicht schwierig. Auch weil die bisherigen Kitas (Einrichtungen) mit einer Verfassung immer noch Vorreiter sind (Stefan Wolf aus dem Beirat des Forschungsprojektes). Das ist längst noch nicht unser pädagogischer und gesellschaftlicher Alltag. Daher fällt uns so ein Begriff auch schwer. Vielleicht sollten wir in Hinblick auf die Sache und unser Anliegen von „partizipativen Kitas“ (Einrichtungen) sprechen und von „konstitutionellen Pädagog*innen“. Ich werde das jetzt mal ausprobieren und mich als solchen vorstellen und bezeichnen.
Weiter in der Studie. Die pädagogischen Fachkräfte unterstützen die demokratische Partizipation, wenn sie selbst als Delegierte in den Gremien wie zum Beispiel ein Kita-Parlament eingebunden sind. Das wirft eine noch viel weitergehende Frage nach der Mitbestimmung der Pädagog*innen in der Einrichtung auf. Mitbestimmung des Team im Verhältnis zur Leitung und dem Träger, somit: Mitbestimmung, Gremien und Verfahren. Partizipation in der ganzen Organisation. Dazu Prof. Dr. Ulrike Voigtsberger aus dem Beirat: Nur wer selbst beteiligt, mitsprechen, mitbestimmen oder mitwirken kann, nur dem eröffnen sich Möglichkeiten diese Rechte (…) zu teilen oder gar abzugeben.
Die Eltern gar sind weitestgehend von Partizipation in der Einrichtung ausgeschlossen, was die Umsetzung der Selbstbestimmungsrechte der Kinder erschwert.
Eine Eltern-Verfassung, eine Mitarbeiter-Verfassung muss also her. Sie gilt es zu erarbeiten und dann in die Kita-Verfassung einzuarbeiten. Eine Verfassung für alle. Eine Verfassung für die gesamte Organisation. Pionierarbeit dazu leistet Anke Petersen, Leiterin der AWO-Kita Kurt-Pohle in Husum. Ihr Team hat schon eine Eltern-Verfassung erarbeitet. Jetzt sitzen sie an einer Mitarbeiter-Verfassung.
Ein neuer Aspekt der Studie, auch non-formelle Gruppen wie zum Beispiel die Vorschulkinder, Arbeitsgemeinschaften, die Fußballkinder, die Koch- und Feuerfreunde, die Naturkinder, … sollten in die Gremienstrukturen eingebunden werden zur Stärkung der Prozesse der gemeinsamen Aushandlung.
Also, Fazit der Tagung: … weiterdenken … weiterforschen … weiterentwickeln … im Gespräch sei …
Martin Peters, auch Mitglied des Beirates: Partizipation ist mehr, Partizipation steht im Mittelpunkt. Wir müssen sie in den Mittelpunkt stellen.
Dann wurden am Rande für mich noch zwei interessante Fragen aufgeworfen.
Sollten wir eine Art Minderheitenschutz formell in die Verfassungen einbauen oder reicht das Prinzip, bei Entscheidungen einen Konsens finden zu wollen, im Zweifel entscheidet jedoch die Mehrheit, aber nie gegen die Stimmen aller Erwachsenen oder aller Kinder? Reicht es, auch weil wir eine hohe Sensibilität für „Verlierer“, Überstimmte, Minderheiten in der Praxis erfahren?
Beschwerden. Wir arbeiten an diesen Fragen, entwickeln Beschwerdeverfahren, ein neues Beschwerde-Bewusstsein. Frage, sollten wir ein Instrument der „Verfassungsbeschwerde“ für Kinder in die Verfassungen einarbeiten, neben der Möglichkeit der „Verfassungsänderung“ für die pädagogischen Fachkräfte?
Inspirierende Anregungen, Fragen, danke für die Studie, die demnächst veröffentlicht wird.
Erste Ergebnisse sind zu finden im Sammelband „Demokratische Partizipation von Kindern“ , Hrsg. Raingard Knauer / Benedikt Sturzenhecker, Beltz Juventa 2016.
Es grüßt der konstitutionelle Pädagoge Andreas Schönefeld.