Wofür gehst Du? Wildnispädagogik
Drei Nächte und drei Tage im Wildniscamp.
Die Sprache des Waldes. Es geht um Wahrnehmung. Öffnung der Sinne. Erweiterung. Hören. Die Sprache der Vögel. Die universelle Sprache der Natur, die jedes Tier und jeder Vogel versteht. Es geht um uns selbst in diesem Konzert. Auch wir sind nur ein Tier. Alle trinken das gleiche Wasser und atmen die gleiche Luft.
Wir spielen, wir ahmen Tiere, Vögel nach. Auf zwei mal zwei Metern im Wald dürfen wir mit verbundenen Augen ein Tier sein. Ich bin ein Waschbär und freue mich, dass es dort Baumstämme und Äste gibt, auf denen ich wippen kann. Die brechen. Das macht Spaß. Im Laub wühlen, alles erkunden, ertasten, riechen und schmecken. Ich beiße sogar in einen Ast und in noch einen. Wir gehen in einen anderen Wald. Auch dort verbundene Augen. Barfuß lassen wir uns von einem anderen führen, dann führen wir, nun gehen wir beide alleine, blind und barfuß durch den Wald. Vorsichtig, denn da sind Stöcke, Zapfen, Dornen auch, aber auch Laub, Gras, Moos und die Bäume, diese Freunde.
Wir vertrauen nun dem Wald. Und vor allem uns selbst. Wir vertrauen den anderen und unseren Mentoren (Paul, Tim und Wieland und deren Helfern Kathrin und Lucas). DANKE. Es geht um uns: Wofür gehst Du?
Es ist wohl dieser Rahmen, der uns schützt und wachsen lässt:
1.) die Natur, die Wildnis, die wir sinnlich erfahren. Und die Erkenntnis, dass wir dazu gehören.
2.) unsere Mentoren, die uns begleiten.
3.) das Gehen in alten Traditionen unserer Ahnen, der Routinen und Methoden aller Naturvölker
4.) und das Vertrauen in uns selbst und die Erkenntnis unserer Schönheit als ein Teil der Natur
Jon Young sagt über die uralte Ahnenreihe und das Coyote-Mentoring: Im besten Fall hilft es dem einzelnen: „sein volles Potential zu erkennen und somit auch seiner Gemeinschaft zu dienen. Es besteht aus einem Satz starker Werkzeuge, mit denen man aus Individuen Schritt für Schritt das herauslocken kann, was die Natur bereitgestellt und aufbewahrt hat. Ganz sanft bringt das Mentoring die Menschen an die Grenzen ihres Wissens und ihrer Erfahrungen und geleitet sie in ein neues Territorium“. (Grundlagen der Wildnispädagogik, Bd 1, S. XXXV)
Es geht also um die Existenz. Wofür gehst Du? Wir lernen es für uns und für die, die wir begleiten. An einer anderen Stelle beschreibt Jon Young, der aus der Praxis und Tradition der nordamerikanischen indigenen Völker kommt, das so: Bei der Kunst des Mentorings und dem Coyote-Teaching geht es um den Prozess, durch den man eine Person immer weiter „ausdehnt“: ihre Wahrnehmung, den Einsatz ihrer Sinne, ihre Mustererkennung, ihre Wertschätzung des Platzes, der zu ihr passt, ihr Wissen über sich selbst sowie das Verständnis und das Erzählen ihrer eigenen Geschichte in der Geschichte des Lebens. (Grundlagen der Wildnispädagogik, Bd 1, S. 15)
Auf diesem zweiten Teil unserer Wildnispädagogik-Weiterbildung hören wir die Vögel, einzelne Stimmen. Ist alles gut oder gibt es Alarm? Was passiert? Auch dahinten in einem Kilometer Entfernung. Finden wir weitere Spuren, sehen wir den Sperber, der vielleicht den Luftalarm auslöste, oder Spuren von Beutetieren am Boden. So können wir sehen/hören/interpretieren, auch das, was wir gar nicht mit unseren Augen sehen können. Eine Fähigkeit, die für unsere Ahnen und heutige Naturvölker überlebenswichtig war und ist als Schutz vor Gefahren oder bei der Suche nach Nahrung. Das Erlernen der Vogelsprache verbindet uns mehr und mehr mit unserem Lebensraum und erweitert ihn enorm. Die Fähigkeit der Vernetzung und des Hörens/Lesens/Interpretierens verbindet uns auch intensiver mit unseren Mitmenschen. Mit unseren erweiterten Sinne können wir besser menschliche Stimmungen wahrnehmen und uns dazu besser verhalten.
Der Kinderarzt Herbert Renz-Polster und der Neurologe Gerald Hüther schreiben darüber: Wie Kinder heute wachsen. Natur als Entwicklungsraum. Ein neuer Blick aus das kindliche Lernen, Denken und Fühlen. Weinheim und Basel 2013. Dort heißt es auf Seite 230: „Wir haben das die Quellen der Entwicklung genannt, und sie haben eins gemeinsam: Kinder stoßen aus sie überall dort, wo sie in unstrukturierten Umwelten selbstorganisiert spielen und Entdeckungen machen können. Das sind die Naturerfahrungen, von denen wir reden. Kein Wunder, dass Kinder diesen Erfahrungsraum suchen. dass sie ihn mit jeder Faser ihres Körpers und ihres Herzens anpeilen.“
Längeres Zitat „Der Stoff des Lebens“ hier.
Wildnispädagogik stellt die Frage, wie wahrhaftiges Lernen und wahrhaftiges Leben gelingt. Der Biologe und Philosoph Andreas Weber bringt es in eine Vorwort der deutschen Ausgabe „Grundlagen der Wildnispädagogik“ so auf den Punkt: Es geht darum wieder lebendiger zu werden. Die Natur aber hat in dieser Rückkehr zum Leben nicht die Rolle einer Ressource, welche die Lehrer methodisch brillant vermitteln und die Schüler lernen müssen. Sie ist schlicht die Instanz größter Lebendigkeit. Sie ist der Archetyp des sich selbst hervorbringenden kreativen Lebens. Sie ist ein gigantisch schöpferisches Spiel. Umgekehrt hat alles Spielerisches etwas von dieser urwüchsigen Kraft der Natur. So wie es die Pädagogen Gary Nabhan und Stephen Trimble ausgedrückt haben: „Wildnis ist dort, wo man in Fülle spielen kann“. (Grundlagen der Wildnispädagogik, Bd 1, S. XXX)
Ich danke. Wir sagen Dank. Danksagen ist eine Kernroutine.
Aufgaben zur Vertiefung bekommen wir für den dritten Teil unserer Weiterbildung in einem Monat. Mit den Sinnen lernen, Wildnis, die Neugierde, das Spiel in Fülle geht weiter. In bin sehr dankbar dafür. Die Frage bleibt: Wofür gehst Du? Eine Antwort habe ich schon!
Siehe auch meinen ersten Beitrag zur Wildnispädagogik.
Literatur: Young, Jon / Haas, Ellen / McGown Evan: Grundlagen der Wildnispädagogik. Mit dem Coyote-Guide zu einer tieferen Verbindung zur Natur. Buch 1 – Handbuch für Mentoren, Extertal 2014 und Buch 2 – Handbuch der Aktivitäten, Externtal 2017
Hey Andreas! Sounds like an amazing experience:-) all the best and many hugs from us