Partizipation von Kindern unter drei Jahren (U3). Partizipation bei der Bewegung, Fortbewegung und Laufentwicklung

Feb 09 2015

Foto: Andreas Schönefeld

Foto: Andreas Schönefeld

 

Können unsere „Kleinen“, Kinder unter drei Jahren (U3), Kinder mit Handicaps, Kinder, die noch sehr bei sich sind, eigentlich auch mitbestimmen?

Ja, vor allem in allen Angelegenheiten, die sie und ihr Leben direkt betreffen.

Das sind Gefühle, Bedürfnisse, Wahrnehmungen, Interessen.

Es sind meistens Pflegeaktivitäten.

Es geht um Partizipation beim Essen und Trinken, beim Wickeln, bei der Schlafgestaltung, bei der Bewegung, Fortbewegung und Laufentwicklung.

Es geht um die Fragen: Wo möchte ich sein? Was möchte ich machen?

Mit wem möchte ich etwas machen? Wie lange möchte ich das machen?

(Je nach Entwicklung können die Kinder an Entscheidungen der Gruppe und der Kindertagesstätte teilhaben).

 

Julia Fedder hat dazu geforscht und geschrieben in ihrer Masterarbeit: Partizipation von Kindern zwischen null und drei Jahren in Kindertageseinrichtungen, Fachhochschule Kiel 2011. (PDF Julia Fedder_Partizipation Krippe) Ich stelle hier auszugsweise ihre Arbeit vor:

 (eine ausführlichere Zusammenstellung mit mehr Beispielen, Rechten und Anforderungen an die Fachkräfte hier als PDF U3 gelingende Partizipation Beispiele Julia Fedder zusammengestellt von Andreas Schönefeld)

 

4.4.4 Partizipation bei der Bewegung, Fortbewegung und Laufentwicklung (Fedder, S. 111-113)

Kinder in ihrer selbstständigen Bewegungsentwicklung zu unterstützen und sie nicht in dieser zu lehren, ist ein Merkmal von Partizipation der Null- bis Dreijährigen.

 

Nach dem Emmi-Pikler-Prinzip beginnt das Kind sich selbst zu bewegen, indem es interessante Objekte entdeckt, diese greift oder zu ihnen hin krabbelt und später auch hingeht. Es ist intrinsisch motiviert und braucht keinerlei Anreize durch den Erwachsenen. (vgl. Gründler 2008, 46)

 

Dieser muss dem Kind aber Vertrauen in seine Kompetenzen entgegenbringen und ihm so zeigen, dass er an seine Eigenständigkeit wirklich glaubt. Dazu gehört, dass das Kind selbst Erfolge und auch Misserfolge erfährt und daraus lernen kann. (vgl. Pikler 2001, 166)

 

„Das Kind, das sich jede Bewegung selbst erarbeitet und sich aus eigener Kraft aufrichtet, erlangt eine andere Selbstsicherheit. Sein Selbstvertrauen ist in seiner Motorik fundiert und damit in einer Tiefenschicht seiner Körper- und Bewegungsintelligenz.“ (Gründler 2008, 48)

 

Emmi Pikler macht in diesem Zusammenhang deutlich, dass das Kind, das hingesetzt oder aufgestellt wird, obwohl es dazu noch nicht fähig ist, eine bisher unbekannte Position einnimmt. Im Gegensatz zu dem Kind, das selbstständig von einer bekannten zu einer unbekannten Position wechselt, kann es nicht aus eigener Kraft die neue Lage verlassen und ist vom Erwachsenen abhängig.

 

Autonome Kinder sind nach Piklers Beobachtungen in ihren Bewegungsabläufen aufmerksamer und umsichtiger. Passende Reaktionen auf plötzliche Vorkommnisse, die ihren routinierten Bewegungsablauf aus dem Gleichgewicht bringen, eignen sie sich im Verlauf ihrer Entwicklung an. (vgl. Pikler 2001, 60f.)

 

Die selbstständige Bewegungsentwicklung bewirkt außerdem, dass das Kind Bewegung als ein freudiges Erlebnis erfährt. Es spürt seine Fähigkeiten und seine wachsende Kompetenz. Durch die Eigenaktivität merkt das Kind, dass es Dinge aus eigenem Antrieb und mit eigener Leistung schafft. Es ist weniger vom Erwachsenen abhängig, der ihm Bewegungsabläufe lediglich beibringen und damit nur antrainieren kann.

 

Gelingt einem Kind aus eigener Initiative ein neues Bewegungsverhalten oder erlangt es eine bisher unbekannte Position, können sich das Kind und auch der Erwachsene über das Geschaffte freuen. Das Bild vom Kind ist hierbei ein aktives und kompetentes. Der Blick richtet sich auf das, was das Kind kann und nicht auf das, was es noch nicht kann.

 

Verhilft jedoch der Erwachsene dem Kind zu neuen Tätigkeiten, erscheint das Kind als passiv und hilflos. Das vermittelt dann dem Kind, dass der Erwachsene meint, es würde ohne seine Hilfe diese Dinge nicht schaffen. Das Augenmerk ist in diesem Fall auf die Defizite des Kindes gerichtet. (vgl. Pikler 2001, 66; vgl. auch Gründler 2008, 48) „Die Absicht des Erwachsenen zu ‚Helfen’ oder zu ‚Fördern’ verhindert geradezu, daß das Kind die Initiative ergreifen kann bzw. erlaubt ihm nicht, das Angefangene selbständig zu Ende zu führen.“ (Pikler 2001, 172)

 

„In der Regel entscheidet der Erwachsene, was das Baby zu wissen hat, und wann ebenso wie es das Gelernte durchzuführen hat. Es wird angehalten, das Vorgeschriebene mit mehr oder weniger Hilfe des Erwachsenen auszuführen.“ (Pikler 2001, 167) Die Gefahr besteht nun darin, dass die wirklichen Bedürfnisse und Fähigkeiten des Kindes immer weniger wahrgenommen werden. (vgl. Pikler 2001, 167) Der Erwachsene kann sich also tatsächlich nie sicher sein, dass das, was er aktuell für richtig und angebracht hält, auch dem Interesse und der Kompetenz des Kindes entspricht. Der Erwachsene muss sich von Erwartungen und vorgeschriebenen, aufeinanderfolgenden Bewegungsschritten freimachen und die Bewegungserfolge des Kindes würdigen und wertschätzen.

 

Das Kind entwickelt sich somit nicht nach einem festgeschrieben, allgemeingültigen Plan, sondern nach seinem eigenen Muster und Tempo. (vgl. Pikler 2001, 28)

 

Jedes gesunde Kind richtet sich, von inneren Impulsen angetrieben, aus eigener Kraft auf und erarbeitet sich selbstständig das Kriechen, Krabbeln, Sitzen, Stehen und Gehen. Es braucht weder Stimulation oder Förderung. Der Prozess des Aufrichtens ist ein langsamer und kontinuierlicher. Zwischen den bekannten Positionen und Bewegungsformen gibt es eine Fülle von Zwischenstufen wie den Knie-Seit-Stütz oder den gestützten Seitsitz. (Pikler, zit.n. Gründler 2008, 47)

 

Der Erwachsene ist dennoch nicht untätig. Er versteht sich wieder als Begleiter des Kindes und Gestalter der Umgebung.

 

Es müssen Voraussetzungen geschaffen werden, die es dem Kind ermöglichen, die selbstständige Bewegungsentwicklung vollziehen zu können.

Interessantes Spielzeug muss für das Kind erreichbar und greifbar sein. Solange das Kind noch auf dem Rücken liegt, bedeutet es, dass sich das Spielzeug unmittelbar neben seinem Körper befindet. Genügend Platz muss vorhanden sein, wenn das Kind beginnt, sich von der Rückenlage in die Bauchlage zu drehen sowie anfängt, sich zu rollen. (vgl. Pikler 2001, 171)

Die Kleidung muss so gewählt werden, dass das Kind in seinen freien Bewegungsabläufen nicht behindert wird. Besonders die Arme, Beine und der Kopf dürfen nicht eingeklemmt oder eingewickelt werden.

Nach Piklers Ansicht sollte das Kind, solange es noch nicht laufen kann oder sich im Haus befindet, keine Schuhe, sondern höchsten Strümpfe an den Füßen haben. Beim Tragen von Schuhen ist darauf zu achten, dass die Sohlen so beweglich sind, dass sie das natürliche Gehen des Kindes zulassen. (vgl. Pikler 2001, 28f.)

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