Zuversicht. Das ist die wahre Herausforderung. Robert Habeck. Wer wir sein könnten

Apr 14 2019

Robert Habeck, Philosoph, Schriftsteller, Politiker reflektiert in seinem Essay: Wer wir sein könnten. Warum unseren Demokratie eine offene und vielfältige Sprache braucht (Köln 2018). Für Habeck, der gerade für kurze Zeit zum beliebtesten deutschen Politiker bewertet wurde, ist dieses eine Art Standortbeschreibung, aus der er heraus Politik betreiben möchte. Hören wir ihm zu:

Es ist die Zeit, sich politisch einzumischen. Die Jahre der Alternativlosigkeit sind vorbei. Sie werden abgelöst durch eine Zeit des politischen Rechtsrucks und der sprachlichen Ideologisierung. Was wir also brauchen ist eine Sprache, die Alternativen zulässt, die offen ist. Für eine Politik, die Vielfalt und Verschiedenheit als Stärke und Reichtum begreift. Dieses Buch ist der Versuch einer Annäherung. (S. 20)

Politik ist Sprache und Sprache ist Politik. Wenn sie eine Wirklichkeit schafft, dann ist immer auch die Frage, welche Wirklichkeit sie schafft. Und wenn das Wie des Sprechens das Was der Politik mit ausmacht, dann ist das Verständnis von  Sprache entscheidend. Es ist nicht schwer, zynisch, populistisch und verbittert zu sein, nicht schwer zu sagen, was nicht geht, nicht schwer andere schlechtzumachen. Trauen wir uns dagegen, offen zu bleiben, angreifbar zu sein, verletzlich zu sein und optimistisch. (S. 127)

Alle Politik ist Fragment. Sie ist nie fertig. Sie ist nie vollendet. Es gibt keine Perfektion. Das Wesen der Demokratie ist Veränderung […] (S. 66)

[…] wie wir einen politischen Raum schaffen, in dem Verschiedenheit und Andersheit gelebt werden können und es dennoch eine Gemeinsamkeit im Suchen von Lösungen gibt. (S. 71)

Heute ist der Wunsch nach Teilhabe ein Wunsch des hoch individualisierten Subjekts, in seinem individuellen Sein erkannt und anerkannt zu werden. (S. 71f)

Foto: Andreas Schönefeld

Wenn eine neue Res publica, eine neue Gemeinsinn-Idee, entstehen soll, dann muss sie die radikale Vereinzelung und Vielfalt aufgreifen und aus ihr heraus das Gemeinsame, Verbindende schaffen. (S. 73)

Durch Vorgaben, Regeln, Verbote erstarrt Sprache, sie stirbt. Eine lebendige Sprache hat dagegen

keine überzeitliche Bedeutung, da Sinn und Verstehen eben nicht ein für alle Mal feststehen. Eine lebendige Sprache ringt immer wieder neu um Verständnis und Verstehen – es ist die Sprache der Demokratie. (S 79)

Politisches Handeln ohne zu reden steht am Anfang eines Zerfallsprozesses. Wer das Reden verächtlich macht, verachtet das, was die Grundlage für eine funktionierende Demokratie ist: den friedlichen Interessensausgleich. Wir müssen erst verhandeln, um dann zu handeln. Und untrennbar verbunden mit Reden ist das, was Trump, Rechtspopulisten und Rechtsstaatsverächtern abgeht: das Zuhören und das Denken. (S. 80)

Sprache und Kultur schaffen Beziehungen. Sie sind relational, sie suchen und bestehen auf Unterschieden im Verstehen, zwischen Menschen,  zwischen Meinungen. Das ist ihre Freiheit. Und das ist ihre Bedeutung für eine freie Gesellschaft. […] Jedes Wort, alles was wir verstehen, verstehen wir nur, weil andere Wörter (Sprachen, Nationen, Kulturen) sie mit ihrem Verständnis bereichert haben. […] Sprache schafft einen Weltzugang, der immer übersetzt. […] Nichts ist so, wie es in einer Sprache alleine ist. Man muss miteinander an einer Sprache arbeiten, um zu erklären, was man eigentlich sagt. Toleranz hilft dabei. Ja, sie ist Voraussetzung dafür. (S. 81-83)

Übersetzen, wortwörtlich, von einem Ufer zum anderen übersetzen, ist mehr als ein Sprachverständnis. Es ist eine politische Haltung. (S. 86)

[…] worum es im Kern geht: um Verständlichkeit, Respekt, Anerkennung. In dieser Phase der deutschen und europäischen Demokratie geht es nicht in erster Linie um sogenannte politische Mehrheiten […]. Es geht um gesellschaftliche Mehrheiten. Wenn wir darum nicht kämpfen, fällt die Gesellschaft auseinander. […] Es fordert einen Blick für das Gesamte. […]

Politik ist das Wissen, dass politische Entscheidungen das Leben von Menschen verändern – und nicht alle dabei gewinnen. Und das wir den Unterlegenen danach noch in die Augen schauen müssen. daher sollten wir möglichst so reden, dass das möglich bleibt. Politik ist nicht die Technik der Macht, sondern die Demut vor der Macht. Und dabei hilft eine bedachte, aber mutige, eine sorgsame, aber freie Sprache. (S. 93)

In der Sprache der Demokratie geht es deshalb nicht um Wahrheit oder ewige Werte, sondern um Argumente und Rechte. (S. 99)

Demokratische Politik ringt darum, dass und wie aus lauter Einzelmeinungen allgemeine Rechte entstehen. (S. 101)

Es gilt ein „Wir“ zu formulieren. Keins, das in allem übereinstimmt, aber doch eins, das Übereinstimmung auf den Prinzipien von Gleichheit prinzipiell für möglich hält. (S. 107f)

Wer eine progressive Politik will, der braucht eine offene, mutige Gesellschaft. Sie herzustellen, ist eine politische Aufgabe. Sie besteht als Erstes darin, die Sprache und Haltung der Politik zu ändern: runter vom hohen Ross, so reden, so argumentieren, dass andere ihre Argumente auch vorbringen können, dass sie gehört werden.  (S. 117)

[…] dann müssen wir weniger klären, wer wir sind, als vielmehr, wer wir sein könnten. Und das bedeutet, eine Sprache finden, die grundsätzlich offen ist, die ein Gespräch ermöglicht, die übersetzt, die einlädt, die offen ist für Neues und anderes. (S. 118)

[…] ich bin überzeugt, dass in der Reflexion über unsere Sprache und in der Kritik unserer politischen Kommunikation ein Schlüssel, ja vielleicht sogar das Geheimnis für die politische Praxis der Gegenwart liegt. (S. 126)

Robert Habeck, 2009, Foto. Andreas Schönefeld

Siehe auch den Beitrag: http://andreas-schoenefeld.de/robert-habeck-wagt-was/

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