Würde – was uns stark macht

Okt 15 2018

Würde. Was uns stark macht – als Einzelne und als Gesellschaft, so ein Essays des Neurobiologens Gerald Hüther, München 2018):

 

Das ist nicht einfach nur eine bittere, sondern auch äußerst schmerzhafte Erfahrung. Wer von anderen Personen benutzt und zum Objekt von deren Absichten und Zielen, Erwartungen und Bewertungen, Belehrungen und Unterweisungen oder gar Maßnahmen und Anordnungen gemacht wird, fühlt sich zutiefst in seiner Subjekthaftigkeit und damit in seiner Würde bedroht. Als Objekt behandelt zu werden, verletzt sowohl das zutiefst menschliche Grundbedürfnis nach Verbundenheit und Zugehörigkeit als auch das nach Autonomie und Freiheit.

Foto: Andreas Schönefeld

Unter diesen Bedingungen kommt es im Gehirn zur Aktivierung derselben Netzwerke, die auch dann aktiviert werden, wenn irgendetwas im eigenen Körper nicht stimmt. Deshalb erlebt jedes Kind das als Schmerz. Und weil er auf Dauer nicht auszuhalten ist, sucht es nach irgendeiner Lösung, um ihn abzustellen. (S. 123)

 

Unter den gegenwärtigen in unserem Kulturkreis herrschenden Bedingungen gelingt es nicht allzu vielen Kindern, ihr ursprüngliches Gespür für ihre eigene Würde zu erhalten und durch entsprechende günstige Erfahrungen zu einer eigenen Vorstellung und schließlich auch zu einem Bewusstsein ihrer eigenen Würde weiterzuentwickeln. Immer früher werden Kinder zu Objekten der Absichten, der Bewertungen und der Maßnahmen von Erwachsenen gemacht. (S.126)

Aber selbst wenn es in der Familie gelingt, bleibt den Kindern die Erfahrung, von anderen wie Objekte behandelt und benutzt zu werden, kaum erspart, sobald sie draußen, außerhalb der Familie mit anderen Kindern zusammentreffen. Wenn sie im Kindergarten mit besten Absichten von Erziehern bewertet und pädagogisch professionell belehrt, unterrichtet und frühgefördert werden. Spätestens während der Schulzeit machen alle Heranwachsenden dann unweigerlich die Erfahrung, dass sie auf die eine oder andere Weise zu Objekten von Unterrichtsmaßnahmen, von Belehrungen und Bewertungen gemacht werden. (S. 127)

 

Ein Mensch der sich seiner Würde bewusst geworden ist, braucht weder den Erfolg beim Kampf um begrenzte Ressourcen noch irgendwelche Ersatzbefriedigungen, die ihm von Werbestrategen angeboten werden. Eine solche Person leidet nicht an einem Mangel an Bedeutsamkeit. Sie ist sich ihrer Bedeutung bewusst. Deshalb ist sie nicht mehr verführbar. Weder sie hat einen Gewinn davon noch ein Interesse daran, andere Personen zu Objekten ihrer Absichten und Erwartungen, ihrer Ziele und Maßnahmen oder gar ihrer Verführungskünste und Versprechungen zu machen.

Weil sie sich ihrer eigenen Würde bewusst ist, kann sie die Würde anderer Menschen nicht verletzen. Das wäre unter ihrer Würde. (S. 130)

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