Würde – was uns stark macht

Würde. Was uns stark macht – als Einzelne und als Gesellschaft, so ein Essays des Neurobiologens Gerald Hüther, München 2018):

 

Das ist nicht einfach nur eine bittere, sondern auch äußerst schmerzhafte Erfahrung. Wer von anderen Personen benutzt und zum Objekt von deren Absichten und Zielen, Erwartungen und Bewertungen, Belehrungen und Unterweisungen oder gar Maßnahmen und Anordnungen gemacht wird, fühlt sich zutiefst in seiner Subjekthaftigkeit und damit in seiner Würde bedroht. Als Objekt behandelt zu werden, verletzt sowohl das zutiefst menschliche Grundbedürfnis nach Verbundenheit und Zugehörigkeit als auch das nach Autonomie und Freiheit.

Foto: Andreas Schönefeld

Unter diesen Bedingungen kommt es im Gehirn zur Aktivierung derselben Netzwerke, die auch dann aktiviert werden, wenn irgendetwas im eigenen Körper nicht stimmt. Deshalb erlebt jedes Kind das als Schmerz. Und weil er auf Dauer nicht auszuhalten ist, sucht es nach irgendeiner Lösung, um ihn abzustellen. (S. 123)

 

Unter den gegenwärtigen in unserem Kulturkreis herrschenden Bedingungen gelingt es nicht allzu vielen Kindern, ihr ursprüngliches Gespür für ihre eigene Würde zu erhalten und durch entsprechende günstige Erfahrungen zu einer eigenen Vorstellung und schließlich auch zu einem Bewusstsein ihrer eigenen Würde weiterzuentwickeln. Immer früher werden Kinder zu Objekten der Absichten, der Bewertungen und der Maßnahmen von Erwachsenen gemacht. (S.126)

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Gleichwürdigkeit und Leitwolf sein

(Jesper Juul: Leitwolfsein. Elterliche Führung der Zukunft und ihr geschichtliche Hintergrund. Edition + plus, 03 familylab Schriftenreihe, München 2014)

Hier eine Passage aus den Seiten 27-30:

Der Prozess gegenseitigen Lernens geht ein Leben lang weiter, und er wird am meisten Erfolg haben, wenn die Beziehung als gleichwürdig gesehen wird. Beziehungen zwischen Eltern und Kinder können niemals gleichberechtigt sein, dafür ist der Machtunterschied zu groß. Dieser Unterschied ist genau der Grund, warum ich den Begriff Gleichwürdigkeit eingeführt habe – er beschreibt das Ethos der Führung durch Erwachsene.

Gleichwürdigkeit, Foto: Andreas Schönefeld

Beispiel

Max ist drei Jahre alt.

Sein Vater:  Auf geht’s Max! Jetzt ist es Zeit, dass du Zähne putzt.

Max:             Aber, Papa, warum? Ich will nicht Zähne putzen!

Vater:           Weißt du, warum du nicht willst?

Max:              Nein … ich will einfach nicht.

Vater:            Schade, ich würde es wirklich gerne wissen.

Max:              Ich weiß es aber nicht.

Vater:            Okay, dann denk doch mal darüber nach und sag mir Bescheid, wenn du es weißt. Und lass uns in der Zwischenzeit das Zähneputzen erledigen.

Max:              Aber ich hab gesagt, dass ich nicht will!

Vater:            Ja, das habe ich gehört. Aber solange du noch ein Kind bist, bin ich verantwortlich für deine Gesundheit. Also los, bringen wir es hinter uns.

Max:              Okay, aber pass auf, dass du mir nicht wehtust.

 

Ginge man nach dem alten Paradigma, würde man diesen Dialog als pure Zeitverschwendung sehen. Der Vater weiß, dass er seinem Sohn auf jeden Fall die Zähne putzen wird, warum also so viel Zeit und Energie verschwenden?

Der Grund ist folgender: Continue Reading »

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